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Thema: Im Kultur-/Popbetrieb offenbart s. ... d. überalterte Ges. (1073-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema
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Im Kultur-/Popbetrieb offenbart s. ... d. überalterte Ges.

Zitat
Berliner Morgenpost vom 20.10.03[/url]"][size=0px]Der Herbst der Alten[/size]
Im Kultur- und Popbetrieb offenbart sich bereits jetzt die überalterte Gesellschaft
Von Michael Pilz

Gilt die auf der Spitze stehende Bevölkerungspyramide Sozialpolitikern als Menetekel, sieht das die Kultur gelassener. Die Bereitschaft, die reifen Stars zu lieben wie die Großväter und Großmütter der guten, alten Zeiten, wächst. Man hört und sieht die Alten wieder gern.

Der Herbst erinnert uns an Alter und Vergänglichkeit, Verfall und an den Wein im Keller. Als die Blätter 1965 von den Bäumen fielen, als die Jugend gerade fröhlich rief: "Trau keinem über 30!", setzte Frank Sinatra dieser Jugend schon den Alterskult entgegen. Er besang sein Leben als ein einziges gelungenes Jahr: "Die Tage werden kürzer / Ich erlebe nun den Herbst des Jahres / Und ich denke an mein Leben wie an einen edlen Wein / Aus guten alten Fässern / Vom Rand bis zum Boden / Strömt es süß und klar." It was a very good year. In diesen Tagen tritt nicht nur Sinatras "Rat Pack" wieder auf. Man wird auch auffallend geballt behelligt mit den Alterswerken reiferer Künstler und den Künstlern selbst. Sogar der Tod lässt keinen Star verblassen und verschwinden. Ganz im Gegenteil: Ob Elvis oder Horovitz, Sinatra oder die Piaf und Brel, sie kehren diesen Herbst zurück als Film-Ikone, Platten-Neuabmischung oder in Gestalt geschäftstüchtiger Doppelgänger. Die Beatles-Plattenfirma Apple hat herausgefunden, dass heute 32,7 Prozent der Beatles-Plattenkäufer unter 24 Jahren sind, Tendenz angeblich steigend.

Es soll jetzt einmal weniger um Zahnersatz und Hüftgelenke gehen, um Rente und Generationenverträge. Sondern darum, wie ein weiter Blick auf den Kulturbetrieb die Zukunft der Gesellschaft ahnen lässt. Die Werbung und die Kunst setzen den kreglen Greis ins Bild. Im Kino führt Sean Connery die "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen", Kirk Douglas tapert unentwegt als Patriarch über die Leinwand in "Es bleibt in der Familie". Buchläden werden beherrscht von Günter Grassens grafischer und lyrischer Verführung zu athletischem Altherrensex. Von Enzensbergers souveräner Besserwisserei, von Lenzens Menschlichkeit, Kempowskis Sammelwahn und Christa Wolfs bescheidener Alltagsweisheit.

Und erst recht die Plattenläden, wo der Pop vergreist und anfängt im Geruch den Auslagen von Klassik oder Jazz zu ähneln: der Altpunk Elvis Costello, der Songschreiber Randy Newman, die Country-Dame Emmylou Harris, Blondie, der gemäßigte Wüterich Iggy Pop, Joan Baez, John Cale, Van Morrison, Simon & Garfunkel, David Bowie. Allen ist gemeinsam, dass sie heute gern über die Jugend spotten und das Alter mit Genuss betrachten. Bowie singt den Song "Never Get Old", das hätte einst bedeutet, schnell und wild zu leben und beizeiten abzutreten, heute heißt es: Alter ist auch nur fortgeschrittene Jugend. Blondies Debbie Harry sagt: "Die jungen Mädchen heutzutage, die nichts können, aber geil aussehen, haben den Markt versaut." Vor 25 Jahren war ja Debbie Harry dadurch aufgefallen, klasse auszusehen, nichts besonderes zu können und den öden Markt durch hinreißenden Punkpop aufzumischen.

Wer als jüngerer Mensch noch einen bürgerlichen Berliner Außenbezirk bewohnt, kann ungefähr ermessen, wie es jungen Popschaffenden geht. Im Supermarkt wird zwischen ausgeruhten Veteranen viel Geduld verlangt und Langmut im Straßenverkehr. Jeder Gang ein Ausflug in die überalterte westliche Wohlstandsgesellschaft des Jahres 2003. Auch im Pop passt sich der Nachwuchs dem Tempo an wie Ryan Adams und spielt Countryrock. Oder er dringt auf die gewohnte, ungestüme Art kaum durch. Es bringt auch nichts als Philipp Mißfelder der Popmusik die Bühne zu betreten und zu fordern: Plattenkäufer, finanziert den Greisen keine Instrumente und Geräte mehr!

Denn in eher trüben, aussichtsarmen Zeiten unerfreulicher Bilanzen geht es um Verlässlichkeiten. Ein müder Elvis Costello garantiert gewisse Sicherheiten, die ein stürmischer Rebell oder ein ehrgeiziger Dieter-Bohlen-Zögling niemals bieten können. Gilt die auf der Spitze stehende Bevölkerungspyramide Sozialpolitikern als Menetekel, sieht das die Kultur gelassener. Zwar sind auch hier die Alten reich und gierig und blockieren vieles. Aber die Bereitschaft, sie zu auf ihre Art zu lieben wie die Großväter und Großmütter der guten, alten Zeiten, wächst. Man hört und sieht die Alten wieder gern.

Die Generation Swing, die Generation Beat und die Generation Punk erzählen sündenstolz und weise aus den überstandenen Kriegen, von durchlebten Krisen, predigen die Ehrfurcht vor den letzten Dingen und ermahnen, Jugend nicht als Wert an sich zu feiern. Und die Jugend hört im Dunkeln zu, man sieht sie nicht. Auf Herbst folgt Winter, und die Jugend wartet mit dem Aufschrei, dass es Frühling wird. Vielleicht.



Mottenpost - Info: Die Alten

Antwort #1
Zitat
Berliner Morgenpost vom 20.10.03[/url]"] [size=0px] Info: Die Alten[/size]

rauschen im Herbst mächtig über die Berliner Konzertbühnen. Eine Auswahl: Bob Dylan (heute, Arena Treptow), The Yardbirds (23. 10., Quasimodo), Elvis Costello (25. 10., UdK), Long John Baldry (30. 10., Quasimodo), David Bowie (3. 11. Max-Schmeling-Halle), Meat Loaf (5. 11., Max-Schmeling-Halle), Fleetwood Mac (10. 11., Max-Schmeling-Halle), Van Morrison (14. 11., Tempodrom), Procol Harum (17. 11., ColumbiasFritz), Iron Maiden (18. 11., Arena Treptow), Motörhead (25. 11., Columbiahalle), Emmylou Harris (30. 11., UdK), John Cale (30. 11., Huxley's Neue Welt).



Im Kultur-/Popbetrieb offenbart s. ... d. überalterte Ges.

Antwort #2
Der Autor der den Artikel über die "vergreiste" Pop-Kultur geschrieben hat, sollte mal darüber nachdenken, dass es nicht um "Sicherheit", "Verlässlichkeit" oder "Nostlagie" geht, warum die sogenannten "Alten" immer noch die "Besten" sind, sondern in erster Linie um "Qualität"!
Zum Beispiel die Dandy Warhols, die Gruppe hat Potential, hat einen Song herausgebracht der z.Z. in der Werbung verwurstet wird, aber ihre Bühnenpräsenz tendiert gegen Null.
Eine Tiefkühltruhe strahlt mehr Freude, Begeisterung und Wärme aus.
Natürlich hat man es als Vorgruppe schwer, aber sie versuchen ja nicht einmal sich irgendwie selbst darszustellen.
Und so hat man schon verloren.
Und genau dieses Phänomen beobachtet ich bei vielen "jungen" Bands und Künstlern. Ihre Karriere(n) versanden oft schon nach der zweiten, spätestens dritten CD.
Sie versanden an der eigenen Unzulänglichkeit über einen längere Zeit einen gewissen künstlerischen Anspruch zu genügen, sie versanden durch eine Dauerpräsenz in den Medien - da es ja "geil" ist in den Medien zu sein und man ja nie genug davon bekommen kann - und sie merken nicht, das sie immer uninteressanter werden, je mehr sie in den Magazinen dieser Welt auftauchen und nochwas, bei diesem schnellen Ritt werden verdammt schnell "Alt"!
Oder aber, wer sein "ich bin hipp" - "ich bin cool" und meine Zielgruppe sind die "14 bis 20 Jährigen" wie eine Monstranz vor sich herträgt, der wird verdammt schnell "Alt"!
Wer mit mitte/anfang/ende 20 seine Biographie herausbringt oder herausbringen lässt, ist "Alt!".
Und kann "Älter" nimmer werden.
Mein Fazit ist: Nicht die "alten Säcke" der Rock-Musik fressen die Jungen, es sind die "jungen" selbst!
Deswegen ist Mitleid hier fehl am Platz.
So, dass waren einige Anmerkungen zu früher Stunde,
es grüsst (wie immer)
Donizetti
 :-D

Im Kultur-/Popbetrieb offenbart s. ... d. überalterte Ges.

Antwort #3
näää...ich glaub, die Sache geht noch tiefer... und soooo unrecht hat der Autor nich,.... was nich heißt, daß die Alten keine gute Musik machen.... wer wüßte das besser als wir hier... :wink:?
nä, die crux liegt...

1. in der gesamten kapitalistischen Postmodernität an sich, die alle Newbies zu Epigonen macht, bevor sie überhaupt nur Zeit haben, sich selbst zu entdecken! Bekanntes oder an-Bekanntes-erinnerndes bietet zumindest eine gewisse Verkaufsgarantie.
Paff! Stempel drauf! Und dem Verwertinteresse zugeführt.... - und sei es auch nur für einen Sommer. Keine Zeit für Entwicklungen ("Bowie..? Äh war das nich dieser MOD-Bube, der "when I'm five" gesungen hat...?").
Und sollte der Künstler es wagen, allzu eigene Ideen zu haben, wird er fallengelassen wie eine heiße Kartoffel.

2. Die Labels haben ja gar kein Interesse mehr daran, jungen Leuten eine ehrliche chance auf künstlerische Arbeit zu geben. Das is viel zu teuer. Betriebswirtschadftliches Denken auch hier:
Warum soll man einen schrägen Künstler fördern, bloß, weil er "Irgendwie interessant" ist? Oh nein, das ist ein unkalkulierbares Risiko! Womöglich verkauft sich das nicht. Oder der Typ brennt nach einem Jahr, in dem in ihn investiert wurde,  mit der Portokasse durch. Also, besser ein von der Firma selbst durchgeplantes, durchkalkuliertes, in allen werbepsychologischen Details auf die Psyche pubertierender Mädels abgestimmtes Produkt stylen! Die aufführenden Trottel werden dann gecastet! Die Schlange ruhmgieriger, dressurwilliger  Opportunisten ist endlos...

3. Aber im übrigen haben die Labels auch kein Interesse mehr daran, einen Star wie Bowie oder seines Kalibers neu zu erschaffen, bzw ihnen dabei behilflich zu sein sich selbst zu erschaffen... denn - die werden einfach zu teuer!  Und eine Rendite ist selbst hier nicht gewährleistet.
So hab ich doch irgendwo gelesen, daß selbst unser aller Erhabenheit Ärger gehabt hat, weil seine artistischen Ansprüche in krassem Gegensatz stehen zur materiellen Verwertbarkeit (i.e. CD-Verkäufe, Charts, Merchandizing)...  aber einer Legende wie Bo etwas abschlagen...? zu autonom, zu unangreifbar...  pfui, das mögen die nicht! Marionetten sind da einfacher zu händeln...

4. ...und so sehen wir zu wie sex, drugs und Rock'n'Roll zum modernen Hochleistungstriathlon für Jung-athleten verkommt: dancing, singing, performing... nie war die Kontrolle größer! Anstatt dem Establishment, personifiziert durch bohlen, Dee! &co,  den Stinkefinger zu zeigen, wird sich unterworfen, was das Zeug hält - for the 15 minutes...
Es mag die Verwirklichung Warhol'scher Visionen sein - aber, friendz, es ist auch totlangweilig... und so findet die wahre Kultur im Untergrund statt! Samizdat lebt!

gruß, Z

Im Kultur-/Popbetrieb offenbart s. ... d. überalterte Ges.

Antwort #4
Zitat

2. Die Labels haben ja gar kein Interesse mehr daran, jungen Leuten eine ehrliche chance auf künstlerische Arbeit zu geben. Das is viel zu teuer.

3. Aber im übrigen haben die Labels auch kein Interesse mehr daran, einen Star wie Bowie oder seines Kalibers neu zu erschaffen, bzw ihnen dabei behilflich zu sein sich selbst zu erschaffen... denn - die werden einfach zu teuer!  Und eine Rendite ist selbst hier nicht gewährleistet.


Das glaube ich auch.
Schon seit Jahren wird auf "Stars" gesetzt, die schneller wieder weg sind als sie in den Charts auftauchen.
Einen Künstler erst aufzubauen und auch seine musikalische Entwicklung zu fördern scheint nicht wirtschaftlich.
Daher haben junge Musiker heutzutage weniger Chancen sich zu etablieren und ihre Ideen umzusetzen.

Say that preacher

Antwort #5
Amen.

PS. Was ist Samizdat?

artistischen Ansprüche <-> materielle Verwertbarkeit

Antwort #6
Zitat
... daß selbst unser aller Erhabenheit Ärger gehabt hat, weil seine artistischen Ansprüche in krassem Gegensatz stehen zur materiellen Verwertbarkeit (i.e. CD-Verkäufe, Charts, Merchandizing)... 

Echt? Würd mich ja mal interessieren ... wo hastn das her??

Neugierige Grüße

* beate *

Re: artistischen Ansprüche <-> materielle Verwertbarke

Antwort #7
Zitat
  Echt? Würd mich ja mal interessieren ... wo hastn das her??
das hab ich irgendwo in dem vielen jetz im Netz oder Magazinen publizierten zeugs gelesen...

@Blooby
Zitat
samizdat
Der Begriff "samizdat" bezeichnete die Verbreitung von Underground Literatzr in der Sowjetunion, als Gedichte und andere Literaturformen oft durch Abschreiben von Hand verfielfältigt und vertrieben wurden.

mehr gibt's hier....
und hier


gruß, Z :supercool:

Im Kultur-/Popbetrieb offenbart s. ... d. überalterte Ges.

Antwort #8
->Z. :

VOLLE ZUSTIMMUNG!!

aber...unterwirft sich Bowie nicht auch Sony/Columbia?? Irgendwie..ein wenig...oder soo :wink:  Schätze mal it's more Give and Take
für beide Seiten.

 
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