Cancer Trust Konzert gestern! 07-04-2005, 11:53:20 Quelle: FM4This Fffriendly Fffire Manchmal gibt es Gigs, die verknüpfen sämtliche verstreute Fäden auf einmal wie die letzten drei Seiten eines B Movie-Scripts. Manchmal, in seltenen Glücksfällen, wird der musikalische Gehalt solcher Gigs auch noch seiner thematischen Bedeutung gerecht. Und gestern in der Royal Albert Hall geschah genau das. Was immer ihn ursprünglich dazu getrieben haben mag, Roger Daltrey (ja, der Roger Daltrey) organisiert nun schon seit einiger Zeit in jener ehrwürdigsten aller Londoner Konzerthallen ein jährliches, mehrtätiges Festival zugunsten des Teenage Cancer Trust, einer Wohltätigkeitsorganisation, die innerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems Krebsstationen für Jugendliche finanziert. Ohne den Teenage Cancer Trust gäbe es in Großbritannien keine spezialisierte Krebshilfe für Jugendliche. Acht solche Therapie-Anstalten wurden bisher aus Spenden bzw. den Einnahmen von Kartenverkäufen, Who-CDs/DVDs etc. finanziert, zwölf mehr werden noch gebraucht, und der für seine wohltätigen Aktivitäten kürzlich (unter schuldbewusstem Ausstoß ausgesuchter kleiner Frechheiten gegen das Establishment) geadelte Daltrey nimmt seine Mission offenbar sehr ernst - auch die als Kurator des alljährlichen Festivals. Nach ein paar Line-Ups voll der üblichen Dadrock-Verdächtigen traf er den Nagel diesmal genau auf den Kopf und stellte eine Art Gipfeltreffen der Generationen zusammen: Kaiser Chiefs, Graham Coxon, dann die Magic Numbers als kurzen akustischen Füller und am Ende die "majestätischen" (O-Ton Daltrey) Franz Ferdinand. Kein Wunder, dass die Karten innerhalb Stunden weg waren. Euer Host ergatterte sich einen Logenplatz parallel zur Bühne und sah die Chiefs in ihren neuen Anzügen die rockigere Saite ihres fabulösen "Employment"-Albums anschlagen. Der zu diesem Zeitpunkt (dank spätem Einlass und frühem Beginn) noch halbvolle Saal spottete ihrem rapide zunehmenden Volkshelden-Status. "Na Na Na Na Naaa" und "I Predict A Riot" kamen sehr gut an, bei "Oh My God" hoben sich die Hintern von den goldgerahmten Samtsitzen, und "The Modern Way" entpuppte sich als unvorhergesehener Crowd-Pleaser. Sänger Ricky Wilson war diesmal weniger junger Damon Albarn als junger Rudi Nemeczek (uncool aber gut gemeinter Vergleich #1), aber er hatte auch neue Tricks zu bieten, zum Beispiel einen waghalsigen Dreisprung über die Vorderseiten der Monitorboxen. Als drei junge Herren gegen Ende des Auftritts der Kaiser Chiefs verspätet ihre Sitze in der ersten Reihe einnahmen, übergab Wilson ihnen feierlich die Setlist mit den Worten: "Das ist, was wir alles gespielt haben. (imitiert selbstzufriedenen Erzählton) 'Gestern bin ich in die Albert Hall gegangen, um mir anderthalb Nummern von den Kaiser Chiefs anzuhören.'" Der Witz war nicht nur gut, sondern implizierte auch Ricky Wilsons tiefe Überzeugung, weit mehr als nur die minder interessante Vorband zu sein. Und wie recht er damit hatte. Als danach Graham Coxon mit seiner Band auf die Bühne kam, hatten die Kaiser Chiefs die Latte also schon ordentlich hoch gelegt. Der in Chucks, aufgerollte Jeans, blaues T-Shirt, Gilet und geknoteten Seidenschal gewandete Ex-Blur-Gitarrist beantwortete die Herausforderung der Emporkömmlinge mit dem besten Solo-Konzert, das ich ihn bisher spielen gesehen habe. Gleich nach der ersten Nummer ("Spectacular") legte er seine Brillen ab, so als machte er sich zum Hörnerstoßen im Schulhof bereit. Bis auf ein paar Überraschungen wie einen namenlosen neuen Song und die in Form und Thema eindeutig an "Popscene" erinnernde B-Seite "Right To Pop!" bestand die Setlist fast ausschließlich aus Songs von "Happiness In Magazines", und alles, sogar Grahams früher oft so zaudrige Stimme klang hervorragend, insbesondere "Bottom Bunk", ein rührendes "Bittersweet Bundle of Misery", das Hendrixeske Soundgewitter von "Girl Done Gone" und der logische Schluss-Song "Freakin' Out" mit zusätzlicher Gitarrengymnastik. Man kann auch durch Verdrehen der Stimmwirbel Melodien spielen, aber wenige würden es auf dieser Bühne wagen. Allerdings konnte Graham ohne Brillen ja auch nicht das zu diesem Zeitpunkt bereits knallvolle Auditorium sehen. Am Ende seiner Show kam ein sichtlich beeindruckter Daltrey auf die Bühne, um Grahams Hand zu schütteln. Dann ging als Zeichen des Herannahens der Franzens der obligate Gavrilo Princip-Vorhang vor dem Schlagzeug-Podest nieder, und die Magic Numbers bauten vor Gavrilos melancholischem Antlitz ihre kleine Hippie-Welt der seligen Mamas und Papas aus wohligen Akkorden und luftigen Chören. Das klingt jetzt ganz furchtbar, kam aber ausgesprochen gut und passend nach all den zappeligen Buben. Wenig später fiel der Vorhang, und Franz Ferdinand hüpften vom Schlagzeug-Podest hinunter auf die Bühne so wie einst The Jam oder die Spider Murphy Gang (uncooler aber gut gemeinter Vergleich #2). Die Band hält sich derzeit in der schottischen Countryside versteckt, um Songs für ihr neues Album zu schreiben und aufzunehmen, und war eigens für den Gig nach London gereist. Dieser Kaltstart hätte leicht schief gehen können, und es gab auch durchaus ein paar kritische Momente, etwa als die vier das Intro zu "Take Me Out" in jeweils individuellem Tempo angingen und gerade noch rechtzeitig für das Trademark-Riff zueinander fanden. Auf der anderen Seite war da eine improvisierte, an gutgelaunte Talking Heads erinnernde Lockerheit, wie sie bei den strammen Ferdinändern bisher noch nie zu hören gewesen war. Und ein Haufen vom Publikum enthusiastisch empfangener, neuer Songs, nicht nur das nun schon des Öfteren vorgeführte "Your Diary", sondern so richtig neue Songs, direkt aus dem schottischen Proberaum. Später bei der Aftershow-Party in einem grässlichen Club in Mayfair, wo die betrügerischen Barmänner schnöden Apfelsaft als Cocktails servierten (umsonst, also konnte sich niemand beschweren), konnten weder Bob, noch Paul oder Nick mir deren Titel sagen: "You mean, the one that goes dang dang, dang-a-dang dang?" Die vorletzte Nummer der Zugabe war die überraschendste. Ein flotter Blues-Shuffle, so wie nur Franz Ferdinand ihn spielen würden. Gang of Four meets... Golden Earring? (uncooler, aber gut gemeinter Vergleich #3). Der ganze freundliche Konkurrenzkampf endete also in einem versöhnlichen 10:10:10 (Magic Numbers spielten auf einem anderen, abgehobeneren Feld) und - für mich jedenfalls - einem idyllischen Spaziergang den Hyde Park entlang. Dieses euphorische "I was there"-Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr nach einem Konzert gespürt.Rotifer Quote Selected