Zum Hauptinhalt springen
Thema: Berliner Dinge: Die Spritze sticht ins Auge (665-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema
0 Benutzer und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Berliner Dinge: Die Spritze sticht ins Auge

Zitat

Ob Finanzen oder Limonade: Es wird wieder injiziert

Berliner Dinge: Die Spritze sticht ins Auge

Lange Jahre hat man einem geheimen Wahrzeichen Berlins kaum mehr Beachtung geschenkt. Doch jetzt, da man eine Völkerwanderung in der Stadt beobachten kann, sticht es vielen Menschen wieder ins Auge. Vor allen Familiengründern, die mit ihrem Anhang vom alten Westen in den Osten rübergemacht haben. Eine oft genannte Begründung: Man wolle nicht, dass die Kinder beim Spielen über herumliegende Spritzen fielen. Das scheint ein West-Problem zu sein. Während beispielsweise in Kreuzberg die Kleinkinder-Population seit 1998 um knapp sieben Prozent zurückgegangen ist, ist sie in Prenzlauer Berg um 22 Prozent gestiegen. Dennoch dürfte es den Flüchtigen schwer sein, der Spritze zu entkommen. Sie ist nämlich ein typisches Berliner Ding. In den 70er Jahren beispielsweise verlieh sie West-Berlin den Ruch der Gefahr und der Dämonie. Es lag an dem "Stern", Christiane F. und den Kindern vom Bahnhof Zoo. Noch heute glauben ja viele Erziehungsberechtigte Deutschlands, dass sie ihre nach Berlin gereiste Nachkommenschaft mindestens heroinabhängig wieder zurückbekämen. Damals sorgte der Heroin-Schick der Mauerstadt allerdings dafür, dass sich immerhin Pop-Stars wie David Bowie auf der Suche nach Inspirations-Injektionen hier einmieteten. Es ist ein Gerücht, dass die internationale Künstlerschaft dabei von der größten Spritze der Welt angelockt wurde, die man 1965 im Ostteil der Stadt unter dem Namen "Fernsehturm" in die Adern der Berliner Wolkenhaut hatte stechen lassen.


Als gesichert gilt jedoch, dass die Spritze stark das Alltagsleben des Normal-Berliners bestimmt. In keiner anderen deutschen Stadt wird so häufig krank gefeiert wie hier, kann man in Untersuchungen der Krankenkassen nachlesen. Dass der legale Spritzenverbrauch an der Spree somit höher ist als anderswo, mag man auch an dem Umstand erkennen, dass ein Unternehmen aus Berlin 1998 die erste nadelfreie Spritze entwickelte. Der berüchtigte Spritzenräuber, der bis September letzten Jahres sein Unwesen in der Stadt trieb, drohte, Geschäftsinhaber mit einem Injektionsgerät zu stechen, das nach eigenen Angaben mit HIV-verseuchtem Blut gefüllt war. Seine Waffe entpuppte sich als harmlos.


Ähnlich wie die Spritzen, die der Berliner regelmäßig im Munde führt. Er redet von seiner Lust auf eine Spritztour, zu der die Seenplatte im Umland einlädt, sinniert über das gern als "spritzig" gepriesene Lokalgetränk "Berliner Weiße", beschießt sich bei der Love Parade mit Spritzpistolen oder fordert Finanzspritzen vom Bund.


In der Hauptstadt finden sich die Dinger wirklich überall. Meinte ja eigentlich auch schon Berlins Fernsehlegende Hans Rosenthal: Das ist Spritze.  j.e.

 
Simple Audio Video Embedder