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Thema: Baal (Songs) | SdT 18.11.2021 (316-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema
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Baal (Songs) | SdT 18.11.2021

Baal

Der 20-jährige Direktorensohn, Medizinstudent und Weltkriegs-Sanitäter aus Augsburg, Bertolt Brecht, hatte "Baal" 1918 in wenigen Tagen niedergeschrieben, aber sein ganzes Leben lang bearbeitet. Das Ergebnis dieses Prozesses war, dass es fünf verschiedene Fassungen gibt. Die Leipziger Uraufführung im Jahr 1923 provozierte ebenso wie die Berliner Aufführung 1926 einen Riesenskandal. Denn eines seiner Vorbilder war François Villon, jener Dichter, Dieb und Mörder, der seine Balladen in den Kneipen des spätmittelalterlichen Paris vortrug.Villon ist das Urbild der französischen Tradition des Poète maudit – ein Wort, für das es im Deutschen bezeichnenderweise keine Entsprechung gibt. Gemeint ist der am Rand der Gesellschaft lebende, diese herausfordernde und dabei sich selbst zerstörende Dichter.

Baal ist ein talentierter Dichter, er wird bewundert und in der Gesellschaft herumgereicht. Als Außenseiter zieht es ihn jedoch eher in Kneipen und Nachtcafés, wo er auch gelegentlich auftritt. Sein Leben ist sein Kunstwerk. Aus dem Hause seines Gönners Mech wird er, der alles Bürgerliche verachtet, trotz Hochachtung, hinausgeworfen. Dies hindert ihn nicht daran, sich Mechs Ehefrau als Liebhaberin zu erwerben – nicht die einzige Episode, die ihn als Besitz ergreifenden Verführer zeigt. Überhaupt werden gleichsam alle, die ihm begegnen, zu seinen Opfern. Moralvorstellungen begegnet Baal, "der Provokateur, der Verehrer der Dinge, wie sie sind, der Sichausleber und der Andreausleber", lediglich mit Spott. So kehrt er der Gesellschaft den Rücken, nimmt Reißaus und zieht mit seinem Freund Ekart acht Jahre lang betrügend durch die Lande, gesteht ihm seine Zuneigung, wird zurückgewiesen, rächt sich und sticht ihn schließlich tot. Abgeschieden und elend stirbt Baal, nicht ohne ein letztes Aufbäumen, in einer Hütte im Wald. "Jedoch setzt sich hier ein ›Ich‹ gegen die Zumutungen und Entmutigungen einer Welt, die nicht eine ausnutzbare, sondern nur eine auswertbare Produktivität anerkennt. Die Lebenskunst Baals teilt das Geschick aller anderen Künste im Kapitalismus: Sie wird befehdet. Er ist asozial, aber in einer asozialen Gesellschaft."

Brecht führt somit seinen Antihelden an Orte, an die das deutsche Publikum nicht gewöhnt ist. In einer Kritik wird richtig bemerkt, dass Baal sein Leben nicht auf das Denken gründet, was typisch für die kapitalistische Gesellschaft ist, sondern auf das Gefühl. Sein aggressives und asoziales Verhalten gegenüber den Anderen macht ihn zum Monster, das auf seinem Weg zu seiner Selbstverwirklichung alles vernichtet.

Der Regisseur Alan Clarke beschäftigte sich mit der rebellischen Gestalt des "Baal". Angeblich war dieser von Brecht und seinen Werken so besessen, dass er sich entschlossen hatte, "Baal" auf die Leinwand zu projizieren. Anfang 1981 schlug Alan Clarke vor, "Baal" für die BBC neu zu inszenieren. Clarke und der Produzent Louis Marks planten den Einsatz von Split-Screens, um die Brecht'sche dramatische Technik zu vermitteln, bei der sich die Figuren während des Stücks an das Publikum wenden. Auf der Suche nach einem Hauptdarsteller erinnerte sich Clarke an Bowies kürzlichen Erfolg in "Der Elefantenmensch"; nachdem man Bowie in der Schweiz besucht hatten, boten BBC ihm die Rolle an, für die Standardgage der BBC von 1.000 £. Und als sein Abschiedsgeschenk an RCA nahm er fünf Baal-Songs für eine EP auf (Bowie: "Sie dachten, Low sei zu unkommerziell? Viel Glück beim Verkauf dieser Songs").

Während der Filmproben waren Marks und John Willett, der Autor, verblüfft, dass Bowie genauso viel über Brecht und die Weimarer Republik wusste wie sie selbst. Die Jahre in LA, in denen Bowie wie besessen alles las, was er über Weimar finden konnte, und sein Aufenthalt in Berlin in den Jahren 1976-77 hatten Bowie zu einem Hobbyforscher gemacht.

Sicherlich war Baal für Bowie eine Möglichkeit, sich zu beschäftigen, aber dafür ist die Rolle zu gut gewählt. Baal ist der Prototyp eines Rockstars, ein Ziggy aus der Weimarer Zeit, gekennzeichnet durch seine Gefühllosigkeit, sein Charisma und sein Bedürfnis, alles zu verschlingen, was er sieht - von den Frauen, die er ins Bett wirft, bis zu den Wolken, die er am Himmel erspäht. Von Bowie als schäbiger Bohemien aus dem East End dargestellt, erscheint Baal wie die letzte Inkarnation eines gierigen, weltbewegenden Jugendlichen, der wie Bowie von einem aufmerksamen Blick und einem Heißhunger geprägt war.

„Baal“ wurde am 2. Februar 1982 in England bei der BBC ausgestrahlt.

Bowie erscheint in der allerersten Einstellung auf dem Bildschirm, und die Inszenierung stürzt den Zuschauer ohne einleitende Titel und ohne eine Einführung in den Schauplatz oder die Hauptfigur in das Geschehen oder der Hauptfigur. Baal steht in der Mitte des Bildes vor einem schlichten Hintergrund und blickt direkt in die Kamera. Offensichtlich wollte der Regisseur Baals Rohheit dem Publikum nicht vorenthalten, sondern sie ihm von der ersten Sekunde an ausliefern.



Ausschnitt:


"Baal's Hymn" (auch als "Der Choral vom großen Baal" übersetzt) ist Baals 14-Strophen-Prolog, obwohl das Gedicht, wie die Inszenierung von Clarkes gewählt, bei der Aufführung oft unterbrochen wird und seine Strophen über das ganze Stück verteilt sind, um als Kommentar zwischen den Szenen zu dienen.

Der Komponist Dominic Muldowney schrieb die Musik dazu und verwendete als Melodie ein nicht genanntes Stück aus Brechts "Die Hauspostille" von 1927. Die BBC-Aufführung von "Baal's Hymn" besteht nur aus Bowie und dem Banjo und dient als pointierter, harscher Kommentar zu den Darbietungen oder Zwischentiteln, die im rechten Rahmen des geteilten Bildschirms vorbeiziehen. Für die vollständige Version der von "Baal's Hymn", die Bowie einen Monat später im Berliner Hansa aufnahm, mussten Muldowney und Bowie den Song als einheitliche Darbietung neu arrangierten.



Bowie hatte Muldowney, Tony Visconti und Edu Meyer um sich versammelt, um die Baal-Songs im September 1981 in den Hansa Studios in Berlin aufzunehmen. Visconti sagte, Bowie habe die Session als "Souvenir" bezeichnet und die Songs lediglich für die Nachwelt aufgenommen. Die Baal-Session war auch ein weiterer Abschied: Es sollte die letzte Visconti-Bowie-Produktion für fast 20 Jahre sein und das letzte Mal, dass Bowie in Berlin aufnahm.

Für Bowies Gesang wendeten Visconti und Meyer die "Heroes"-Strategie an, bei der sie mehrere Mikrofone im riesigen Meistersaal von Hansa aufstellten, um Bowies Stimme in verschiedenen Lautstärken und mit Raumatmosphäre einzufangen. Bowie nahm seinen gesamten Gesang für die EP in wenigen Stunden auf.


Brecht hat das Gedicht "Erinnerung an die Marie A." hatte auf eine Zugfahrt nach Berlin geschrieben. Es erzählt darin von einer verflossenen Liebe und der Erinnerung an einen flüchtigen Kuss.



Ballade von den Abenteurern




The Drowned Girl

Ausschnitt aus der BBC-Adaptation:





The Dirty Song




„Baal“ war dem älteren Brecht ein bisschen unangenehm.

Reinhold

Antw.: Baal (Songs) | SdT 18.11.2021

Antwort #1
Baal

„Baal“ war dem älteren Brecht ein bisschen unangenehm.

Reinhold

Berlin. Brecht gehört dahin! Hansa auch, also Match. Und doch? Ein bisschen unangenehm, die Brecht-Kultur, sein fieser Umgang mit Frauen. Selbst unsere kulturbeflissene Misses sagte letztens: "Brecht? Jeht nüscht...".
Baal war ihm also unangenehm, dem Genie und nun ja, Ausbeuter.

So stolpere ich mich in den Baal und höre die vertrauten Töne. Mag ich. Trotz Brecht.

Der olle Baal.
Kein gesülze, keine Rosenblätter!
keine Poesie es geht nicht netter!
Keine wärme in der Nacht!
Schmutzig auf den Punkt gebracht!
V.

Danke für diesen und alle anderen SdTs!

LG
Oogie

Antw.: Baal (Songs) | SdT 18.11.2021

Antwort #2
hui!
der baal!
der david macht seine sache gut und was bin ich froh, dass es bei ihm ' baal' war und die nicht zu tode ' gecoverte' ' dreigroschenoper'!

es gab mal eine zeit, in der so ziemlich jeder künstler, der meinte, er müsse jetzt mal den kulturellen raushängen lassen, unbedingt den mackie messer geben musste, oh nee....

brecht hatte sicherlich durchaus das talent, vielschichtige, fiese, zwielichtige charaktere der ' unterwelt', der menschen der ' anderen klasse' für seine stücke zu erschaffen - der feine herr kam ja selber aus gutem hause und wie so häufig, sind es ja oft die bessergestellten, die von diesem milieu fasziniert sind.

ich bin ganz sicher kein grosser brecht kenner, aber auch ganz sicher kein fan!
ich habs ja probiert!
2x die " dreigroschenoper, 1x the rise and fall of mahagonny, helen schneider sings brecht/weill , 2 brecht dokus etc...und natürlich unser freund als ' baal', doch so sehr ich ein glühender fan einiger künstler dieser zeit bin, werden brecht und ich wohl keine freunde mehr.
so sorry, aber ick kann den nicht ab!
werde nicht weiter ausholen und mich an volker's worte erinnern, der so schön sagte, dass man in diesem werk so wunderbar den wahren sänger david bowie sehr gut hören kann....

tell the truth...



Antw.: Baal (Songs) | SdT 18.11.2021

Antwort #3
Anscheinend hatte ich auch vorgehabt die Baal-Songs zu besprechen. Das Foto hatte ich schon letztens Jahr kurz nach seinem Geburtstag hierzu geschossen und gerade erst wiedergefunden. Nun kam leider inzwischen @davidbowiede mir zuvor und nun mir bleibt nur noch ein Danke für diesen und alle anderen SdTs auszusprechen.

Das Fernsehspiel "Baal" habe ich mir übrigens letztes Jahr zum ersten mal angeschaut und nun ja ich war von der biederen Umsetzung schon recht überrascht. Das hatte was von den früheren TV-Übertragungen aus dem Hamburger "Ohnsorg-Theater".

Antw.: Baal (Songs) | SdT 18.11.2021

Antwort #4
Mittwoch, 26. Juli 2023
BBC FOUR
David Bowie: Cracked Actor - 22.00
Zoe Wanamaker erinnert sich - Bowie und Baal - 22.55
Baal - 23.05

Auch am Freitag, den 28. Juli auf BBC4
22 Uhr
Bowie at the BBC

Reinhold


 
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