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Thema: Berliner Zeitung 5.11.: "Der Aktivist der dritten ... (1090-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema
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Berliner Zeitung 5.11.: "Der Aktivist der dritten ...

Zitat
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/290269.html[/url]"][size=0px]Der Aktivist der dritten Stunde[/size]
Am Montagabend bewies David Bowie bei seinem Berliner Konzert vor allem Kondition

Anke Westphal

Jugend im bauchfreien Top war nicht anwesend, als David Bowie am Montag in Berlin das letzte Deutschlandkonzert seiner "Reality"-Tour gab. Bowie ist jetzt 56 Jahre alt; die Generationen einigt er nicht gerade, aber ein Sportlerheim wie die Max-Schmeling-Halle bekommt der Mann, der einst als Alien der noch jungen Pop-Geschichte vom Himmel fiel, noch immer voll. Ausverkauft, rappeleng, Atemnot - das war die erste erstaunliche Nachricht des Abends. Selbst Leute, die ihre Bowie-Biografien längst mit dem Altpapier entsorgt haben, weil sie den Fall des ersten Pop-Selbstneuerfinders nach etlichen Einschleim-Alben als erledigt betrachteten, hatten sich auf den Weg gemacht, um ein bisschen zu schunkeln, zu "Ashes to Ashes" etwa. Und was soll man sagen: die Männer zeigten dünnes Haar vor, die Frauen waren in der Überzahl mollig. Man trug Berliner Bescheidenheit, asexuell gerade geschnitten und geil wie in der Billigreklame.
Das war die zweite erstaunliche Erkenntnis dieses Abends: dass sich das Publikum keineswegs so ästhetizistisch gerierte wie der für seine stilbewussten Brüche gefeierte Bowie. Die Videoclips von Haute-Couture-Schauen, die die Veranstalter in Unkenntnis des überzeugten Berliner Nichtschicks projizierten, anderthalb Stunden bevor David Bowie dann selbst erschien, wurden freundlich ignoriert - was soll einem auch Chanel in Paris, wenn man David Bowie genau dort hat, wo der Prenzlauer Berg am wenigsten repräsentiert, in der Nähe des Mauerparks. Punkt neun Uhr stand Bowie dann vor seinem mittelalten Publikum, was für die dritte erstaunliche Erkenntnis des Abends sorgte: Er sieht unfassbar gut aus mit seinen 56. Wir erinnern uns noch gut an die Zeit, als er 36 war. Damals waren auch wir noch etwas jünger. Das Schlimme ist, dass David Bowie immer noch aussieht wie 36, jedenfalls von weitem - und nahe kann und will man diesem Verwandlungs- und Überlebenskünstler auch nicht kommen. Man ist ihm nach all den Jahren ja immer noch dankbar dafür, dass er Rock & Pop mit Hilfe seiner autotherapeutischen Rollenspiele zum Distanzapparat umfunktionierte. David Bowie entpflichtete uns von der Rebellion; er schenkte uns zweckfreien Glamour; hinter androgynen Masken versprach er Abenteuer, nicht ohne Gefahr. David Bowie war eine Persona aus vielen anderen und nicht festzulegen - das wirkte nicht einfach spannend, sondern magisch, und zu alledem hatte der dünne Mann auch noch einen erstklassig erotischen Schiefzahn, links oben drei. Ob nun mit Eyeliner und Strumpfhosen, im Nadelstreifenanzug oder mit weiß gepudertem Haar: David Bowie machte immer das Beste aus seinem aktuellen Typ. Seine Leistung liegt denn auch weniger im Überleben aller möglicher Pop-Stil- und Drogenexzesse als darin, immer hübsch fleißig an der Verfeinerung seines Image gearbeitet zu haben. Merke: ein Album pro Jahr.

Am Montag erschien Bowie nun als Kaiser eines hybriden Reichs im Las-Vegas-Look: dunkles Jäckchen, silberne Tressen, rotes Schlips-Gebammel und Popper-Scheitel. Bowie kam zunächst als Junge mit der Mundharmonika; mit gutproletarischem "Hey babe" ging er kurz als Tom Petty verkleidet. Er log seinem mittelalten Publikum ein bisschen was vom Alt-Rocker vor, aber dann fiel er doch in die "Major Tom"-Rolle zurück, einsamkeitsecht nur mit kosmischem Sternenhimmelhintergrund, und es half auch nichts, dass Bowie die bleichen Oberarme über seinen rasierten Achseln entblößte: dieser Mann war nie ein Schweiß-Rocker zum Anfassen, er wird auch jetzt keiner werden. Natürlich sang er von der Vergänglichkeit, das macht er seit 1969 sehr gut. Neu ist, dass Bowie sich als Homo politicus neu erfunden haben will und die modernden Weichteile seiner Dia-Show mit dem Trauma der WTC-Anschläge auflädt. Mit "Loving the alien" will er jetzt die USA und den Irak meinen.

Dieser unermüdlichen Arbeit am Image der Reifejahre kann man den Respekt schwerlich versagen. David Bowie hat sich selbst musealisiert - um den Preis der Anschlusslosigkeit. Denn wir sehen nicht mehr aus wie 36, und wir fühlen uns nicht einmal besonders gut. Was haben wir ihm seine Kondition doch verübelt: drei Stunden lang bespielte und besang er die Halle, die Hitliste rauf und runter. Atemlos ging er mit einer "Best of" seiner maschinesken Uptempo-Nummern in die erste Runde: "Fame", "Afraid", "Under pressure" (traurig ohne den verstorbenen Freddie Mercury), selbst das verträumte "China Girl" wurde gehärtet. Danach beruhigte sich der Terror der Vitalität etwas; ein Lebenswerk von 35 Jahren eröffnet ja viele Möglichkeiten. Am Montag gab es 24 Songs und neun Zugaben. Neun Zugaben: jeden anderen Pop-Star hätte man anstandslos von der Bühne gebuht, nur um endlich ins Bett zu kommen, doch bei einem wie Bowie, der im Schatten der Mauer die eigenen Fan-Jahre prägte, gehört sich das natürlich nicht. Man war verpflichtet, dieses Konzert durchzustehen, schon um die eigene Vergangenheit zu beglaubigen. Und er schien auch ganz richtig, dieser Abstand zwischen Bowie und dem Publikum, diese kühle Aura unterdrückter Ergriffenheit, wenn Bowie mehr mit sich selbst als mit den Leuten sprach. Den Schiefzahn hat er übrigens begradigen lassen.

Berliner Zeitung 5.11.: "Der Aktivist der dritten ...

Antwort #1
Man sollte der lieben Anke Westphal eine Mail schreiben und ihr erkären, dass sie das nächste Mal den Fans keine Karten wegnehmen soll. Sie hätte doch zu Hause bleiben können, von Robby Williams oder was weiß ich noch träumen und sich irgendeine Grütze aus dem Köpfchen schreiben sollen. Muss dieser Mensch frustriert sein! Ich kann mit diesen pseudointellektuellen Miesmachereien nichts anfangen.

"Verträumtes" China Girl

Antwort #2
Zitat
... selbst das verträumte "China Girl" wurde gehärtet. 

Ob die Frau Iggys original mal gehört hat?
Vonwegen "verträumt" ...

 :twisted:
* beate *

Frechheit

Antwort #3
:evil: [size=0px]Ich bin glatt sprachlos, unfassbar was die schreibt. Kann mir bitte jemand die Mail Adresse von der geben, Terror ist angesagt !!! Ich möchte wohl behaupten das gut ein viertel der Koncert besucher um die 20 waren und nicht alle 40 und rund. Außerdem war es ein absolut geiles Koncert und seine Arme sahen aus der ersten Reihe fantastisch aus. *Aufreg* :twisted:  Die Frau hat absolut keine Ahnung und steht bestimmt nur auf Hip Hop  :box: [/size]

Bild zum Artikel

Antwort #4
Hier der Scan zum Artikel:



Keep swinging

* beate *

Berliner Zeitung 5.11.: "Der Aktivist der dritten ...

Antwort #5
schön, dass es bei Euch auch so doofe Zeitungen mit ahnungslosen Reportern gibt.

Ich habs anders empfunden - und sicher nicht als einzige

lg michi

Berliner Zeitung 8.11.: "Musik einfach genießen"

Antwort #6
Zitat
Man sollte der lieben Anke Westphal eine Mail schreiben ...

Sieht so aus, als wäre etwas in der Art schon passiert, wobei ich den Leserbrief nicht für so gelungen halte, dass ich ihn als Redaktion gedruckt hätte; anyway, vielleicht steht er stellvertretend für viele andere:

Zitat
Samstag, 08. November 2003 

[size=0px]Musik einfach genießen[/size]

Frau Westphal hat sicher einen schweren Beruf - Kritikerin. Leider nimmt sie sich selbst zu wichtig und vergisst bei der Konzertkritik über David Bowie, dass Leute Musik einfach auch genießen können und wollen (Feuilleton: "Der Aktivist der dritten Stunde" von Anke Westphal, 5. November). Und das in Klamotten, die ihnen schlichtweg nicht so wichtig sind. Meinen großen Dank an David Bowie und die Band, dass sie so lang und so viel für ihre Fans spielen. As simple as that.

Ina Joachim, Berlin


Keep swinging

* beate *

Berliner Zeitung 5.11.: "Der Aktivist der dritten ...

Antwort #7
Wir haben Pressefreiheit in Deutschland, ich habe es jetzt auch kapiert. Das schliesst allerdings auch das Recht ein, lauter DUMMES ZEUG zu veröffentlichen. Schade um's Papier.

Don't worry, be Bowie

Beste Grüsse
crystal

 
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